Künstliche Intelligenz (KI) ist längst kein Zukunftsversprechen mehr – sie verändert bereits heute die Mobilität auf der Schiene. Im Gespräch mit Reza Sharavi, Head of Innovation bei Hitachi Rail in Deutschland, sowie Peter Tummeltshammer, Head of Innovation bei Hitachi Rail in Österreich, wird deutlich: KI ist ein Schlüssel zu mehr Effizienz, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit im Schienenverkehr.
Warum KI für die Bahn so relevant ist
Ob Fahrgastinformation, Wartung oder Verkehrssteuerung – KI wird zunehmend als unterstützendes System eingesetzt, um Abläufe zu optimieren und Störungen frühzeitig zu erkennen. Dabei geht es nicht um Science-Fiction, sondern um konkrete Anwendungen, die bereits heute in Pilotprojekten und ersten Produktivsystemen genutzt werden.
KI ist kein abstraktes Zukunftskonzept, sondern ein praktisches Werkzeug, das den Bahnverkehr zukunftsfähiger macht

Ein Beispiel: Die digitale Assetmanagement Plattform HMAXnutzt KI und Sensorik, um Wartungsbedarfe frühzeitig zu erkennen und Ausfälle zu vermeiden. Ziel ist ein zuverlässigerer Betrieb und mehr Fahrgastzufriedenheit.
Assistenz statt Autonomie: Die Rolle der KI heute
Autonom fahrende Züge sind ein faszinierendes Ziel, doch in der Realität ist KI aktuell vor allem ein Assistenzsystem. In geschlossenen Systemen wie Metros ist der autonome Betrieb bereits Realität. Im offenen Fernverkehr hingegen bleibt der Mensch weiterhin verantwortlich – unterstützt durch KI-Systeme, die etwa bei der Verkehrssteuerung oder Wartung helfen. Langfristig könnte sich die Rolle des Fahrpersonals verändern: weg vom aktiven Steuern, hin zur Überwachung und Bewertung von KI-gestützten Entscheidungen – ähnlich wie im Automobilbereich.
KI-Lok: Forschung für sichere KI-Anwendungen
Damit KI auch in sicherheitskritischen Bereichen wie dem Zugbetrieb eingesetzt werden kann, braucht es verlässliche Prüfverfahren. Das internationale Forschungsprojekt KI-LOK, gefördert durch die Bundesrepublik Deutschland, entwickelt genau solche Methoden. Ziel ist es, Sicherheitsnachweise für KI-Komponenten zu ermöglichen – unabhängig von spezifischen nationalen Anwendungen.
Der Ansatz ist bewusst generisch und skalierbar, sodass er auch für andere Länder und Projekte nutzbar ist. Im Fokus stehen:
- Definition von Zulassungsprozessen für KI-Systeme
- Entwicklung virtueller Testumgebungen für realistische Szenarien
- Orientierung an europäischen Standards wie der CSM–RA (Common Safety Method for Risk Evaluation and Assessment)
Ein Highlight in unserer Arbeit im Forschungsprojekt KI-LOK, so Reza Sharavi, ist die Entwicklung einer virtuellen 3D-Testumgebung, in der mithilfe generativer KI realistische Szenarien wie Nebel, Blendung oder Nachtfahrten simuliert werden – ein entscheidender Schritt, um die Reaktionsfähigkeit von KI-Systemen unter extremen Bedingungen sicher und nachvollziehbar zu prüfen.[1]
[1] KI-LOK – Ein Verbundprojekt über Prüfverfahren für KI-basierte Komponenten im Eisenbahnbetrieb (Signal & Draht, 04/23); Zulassungskonzept für KI-basierte Fahrzeugkomponenten (ZEVrail, 04/23)
Daten als Treibstoff: Wie KI lernt und Entscheidungen trifft
Die Grundlage jeder KI-Anwendung sind Daten – und davon gibt es im Bahnverkehr reichlich. Von Zugpositionen über Fahrpläne bis hin zu Wetterdaten und Verspätungen: All diese Informationen fließen in KI-Systeme ein, um fundierte Entscheidungen zu ermöglichen. Sensoren liefern zusätzlich Echtzeitdaten von Fahrzeugen und Infrastruktur. Entscheidend sind dabei die Qualität und Ausgewogenheit der Daten.
Sprachassistenz: Wissen bewahren, Entscheidungen verbessern
Gerade in einer Branche mit langen Produktlebenszyklen und hohem Fachwissen ist es entscheidend, Wissen nicht nur zu dokumentieren, sondern auch aktiv nutzbar zu machen

In komplexen Projekten mit umfangreicher Dokumentation kann ein KI-gestützter Sprachassistent dabei helfen, relevantes Wissen schnell und gezielt zugänglich zu machen. Unter anderem durch den Einsatz von Retrieval-Augmented Generation (RAG) können Projektteams große Datenmengen effizient durchsuchen und fundierte Entscheidungen treffen – ohne auf manuelle Recherche angewiesen zu sein.
Echtzeit-Optimierung: KI trifft auf operative Steuerung
Im Verkehrsmanagement zeigt sich besonders deutlich, wie KI zur aktiven Optimierung beitragen kann. Mithilfe von Multi-Agenten-Systemen und Reinforcement Learning werden Konflikte im Bahnverkehr in Echtzeit erkannt und gelöst. Das System lernt, wie Züge priorisiert und Fahrpläne dynamisch angepasst werden können – etwa durch gezielte Verzögerungen oder Umleitungen. Ziel ist es, Verspätungen zu minimieren und die Netzstabilität zu erhöhen.
Wenn Züge vom Fahrplan abweichen, wird es schnell komplex – besonders bei gemischten Verkehren, grenzüberschreitenden Fahrten oder extremem Wetter. Krisensituationen brauchen schnelle Entscheidungen auf Basis eines umfassenden Lagebildes. KI unterstützt uns hier mit einer Geschwindigkeit und Informationstiefe, wie sie ein Mensch allein nie erreichen könnte.

Vorteile für Fahrgäste und Betreiber
Schon heute zeigt sich, wie KI den Bahnverkehr verbessert:
- Weniger Verspätungen durch frühzeitige Störungserkennung
- Präzisere Fahrgastinformationen
- Optimierte Kapazitätssteuerung
- Nachhaltigerer Betrieb durch effizientere Ressourcennutzung
Sharavi betont: „KI ist ein Werkzeug, das neue Möglichkeiten eröffnet – nicht als Ersatz für den Menschen, sondern als Unterstützung.“
Blick in die Zukunft: Was KI in 10–20 Jahren bewirken kann
Die Vision für die nächsten Jahrzehnte ist klar: Ein flexibler, zuverlässiger und nachhaltiger Bahnverkehr, der durch KI unterstützt wird. Dafür braucht es nicht nur Technologie, sondern auch Vertrauen, klare Standards und die Akzeptanz aller Beteiligten – von Lokführern bis zu Fahrgästen.
Fazit: KI als Wegbereiter für die Mobilität von morgen
Künstliche Intelligenz ist mehr als ein technisches Buzzword – sie ist ein echter Gamechanger für den Schienenverkehr. Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte, sollte unbedingt in den Podcast „Im Zug“ reinhören oder unseren aktuellen Artikel in der Signal und Draht lesen.
